Kommentar von Karen Barjenbruch, Heilerziehungspflegerin in einer Kita der Lebenshilfe Twistringen

Pressemitteilung 01. Februar 2021

Der untenstehende sehr anschauliche Kommentar von Karen Barjenbruch wurde von den Medien (u.a. der Süddeutschen) breit aufgenommen. Frau Barjenbruch hat diesen Kommentar und ihr Foto auch für die Kirchengewerkschaft Niedersachsen freigegeben. Vielen Dank dafür!

Es ist Januar 2021, das Wetter ist schlecht und die Laune ebenfalls. Die Verlängerung des Lock down steht fest, und die Folgen hat die gesamte Gesellschaft zu tragen. Versteht mich nicht falsch, ich bin für Schutzmaßnahmen, für Hygienekonzepte und gegen die Verbreitung des Virus.

Jedoch stelle ich die Umsetzung von diesen Maßnahmen in den Kindestagesstätten erheblich in Frage. Im Radio wurde gesagt, Kitas und Schulen schließen. Aber die Kitas sind nicht zu. Wir haben eine Notbetreuung. Zunächst wurde gesagt, 50 % der Gruppenstärke darf aufgenommen werden. Dies ist allerdings nicht ganz korrekt, denn unsere Räume wurden für 25 Kinder ausgelegt, also können davon die Hälfte betreut werden. Eine Notbetreuung, die also in jeder Gruppe 13 Kinder betreuen kann. Ist diese Zahl nicht ausgeschöpft, mit Kindern, bei denen die Eltern arbeiten, so sollen wir uns ans Telefon setzen, und die Kinder mit erhöhten Förderbedarf, die Schulkinder und die sogenannten Härtefälle (was auch immer das bedeutet?) einladen, da sie einen Anspruch auf einen Kita-Platz haben. Das sind aber oft Kinder, bei denen die Eltern zu Hause sind und eine Betreuung dort möglich wäre. Es bedarf keinen Antrag, keine weiteren Fragen oder Vorgaben für die Eltern. Es geht eben darum, dass wir bitte aufstocken sollen. Ich kann die Eltern verstehen, die sagen, ich nehme diesen Platz an. Für Einzelkinder, für Kinder aus sozial schwachen Familien, für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf und viele weitere sind diese Zeiten schwer, für die Eltern ebenfalls. Dass diese sich also dafür entscheiden, kann ich nachvollziehen, vor allem, wenn der Platz doch da ist und sogar angeboten wird. Für die Kinder ist es schön, ein wenig Normalität zu bekommen, einen geordneten Tagesablauf, es gibt Sicherheit in diesen unruhigen Zeiten. Allerdings wird bei diesem Plan die Wertschätzung und Achtung des pädagogischen Personals völlig vergessen.

In der Praxis sieht es also nun so aus, dass wir in einem Gruppenraum mit 13 Kindern und zwei Erziehern*innen arbeite können. Unser Schutz: der große Raum, der ja schließlich 25 Kinder unterbringen könnte. Die Aerosole haben mehr Freiheiten. Abstand und Maske im pädagogischen Alltag mit Kindern sind eine Utopie. Ich stelle mir manchmal vor, wie ich dem traurigen Kind zurufe, es solle sich bitte selbst in den Arm nehmen, und das Aua wegpusten, aus dem Fenster, versteht sich. Aber Ironie aus ! So kann es im Alltag nicht funktionieren. Wir trösten, wir helfen beim Umziehen, wir wickeln, wir geben Sicherheit und all das geht eben nur ohne Mindestabstand und in den meisten Fällen ohne Maske. Wahrscheinlich sind wir aus diesem Grund die meist infizierteste Berufsgruppe mit dem Corona-Virus (siehe dazu die Studie von der AOK).

Wir dürfen nicht in den Bewegungsraum, da dort in der Bewegung zu viele Aerosole ausgeschüttet werden. Wir dürfen nicht in den Frühstücksraum, zumindest nicht mit mehr als fünf Kindern. Im Gruppenraum dürfen keine Sitzkreise stattfinden, keine Singangebote, keine Bewegungsspiele. Alles was den Bedürfnissen und Wünschen der Kinder entspricht, ist verboten. Es bleiben nicht viele Alternativen. Wir sollen nach draußen. Im Januar, den ganzen Tag?

So stehen wir eigentlich nur da, ermahnen die bewegungsfreudigen Kinder und versuchen unser Bestmöglichstes, die Kinder bei Laune zu halten. Die von der Politik beschlossenen  Maßnahmen sind für uns keine Erleichterung. Unsere Arbeit wird uns unter  diesen ganzen Bedingungen nur noch schwerer gemacht, der Druck und das Unwohlsein steigen. Ich sprach mit Kollegen, die Angst haben, um ihre eigene Gesundheit, um die ihrer Familien. Kollegen, die unter Schlaflosigkeit leiden, eine absolute Hilfslosigkeit verspüren. Diese „Stotterlösungen“ die immer für zwei bis sechs Wochen geplant werden, schaffen Unsicherheiten. Ebenso fehlen uns gefühlt bei jedem Beschluss der Zuspruch und die Anerkennung für unser Berufsfeld, was nicht erst seit der Pandemie ein Problem ist.

Im November 2020 hatte ich mich mit dem Corona-Virus infiziert, auf der Arbeit. Mehrere meiner Gruppenkolleginnen haben ihn ebenfalls gehabt, auch Kinder. Viele von uns kämpfen bis heute mit den Folgen. Die Aussage vom Gesundheitsamt, dass man es jederzeit wieder bekommen kann, macht Angst.

Fragen an die Politik stellen sich mir viele: Wie stellen Sie sich so eine Betreuung bis Ostern vor? Wie können wir uns konkret schützen, die Kinder, unsere und deren Familien?

Ausbrüche in den Kitas und Schulen gab es zur Genüge, es kann nicht weiterhin behauptet werden, dass es dort keine Infektionsherde gibt. Zumal Kinder in den meisten Fällen nicht auf das Virus getestet werden, da sie häufig keine Symptome zeigen. Warum sollten Eltern ihre Kinder auch testen lassen? Wenn diese positiv sind, muss die gesamte Familie in Quarantäne, und wer versorgt sie dann? Zudem sind die Tests nicht gerade eine angenehme Sache. Bei einem dreijährigen Kind braucht man da nicht auf Verständnis für das Allgemeinwohl hoffen. So ist es klar, dass die ganzen Studien keine sicheren Fakten über die Ansteckung  und Übertragung des Virus von Kindern geben können. Dass sie es allerdings übertragen und bekommen können, steht, so denke ich, außer Frage. Ganz zu schweigen von den neuen Mutationen, die ganz bestimmt noch nicht ausreichend erforscht sind.

Also wie kann es sein, dass alles auf Null gefahren wird, nur unser Bereich nicht? Wieso gibt es nicht strengere Richtlinien, wie beim ersten Lock down, bei denen beide Elternteile eine Systemrelevanz vorweisen mussten? Nicht nur zu unserem Schutz, sondern auch zum Schutz der Kinder und Familien.

Bild von der Heilerziehungspflegerin Karen Barjenbruch, Foto: Wolfgang Defort